Blockade in Berlin, geb. am 4.12.1948. 1964 Termin mit Partituren bei Boris Blacher in Berlin. Seinen Rat, mich auf elektronische Musik zu konzentrieren, befolge ich nicht. Kompositionen im Post-Ravel-Stil, Musik im Geiste von HC Andersen. Pierre Boulez‘ frühe Darmstadt-Texte als Gehirn-Nahrung, sein prismatisches Zerlegen musikalischer Parameter – aber Lennon/McCartney und Schubert als Seelennahrung. Als ich dann 1969 mit dem Kompositionsstudium beginne ist mir die zerbrechliche Musik des frühen Henze Vorbild…
…aber in der Hamburger Musikhochschule erklären mir ca. 47 verschieden-linke bis maoistische Studentenvereinigungen, komponieren sei gesellschaftlich nicht „relevant“ und Hanns Eisler sei der einzige relevante Komponist. Hochschullehrer wiederum erklären, komponieren sei nur relevant, wenn spätestens in Takt Zwei sich Septolen mit Quintolen in Tritonus- und kleinen Nonen-Intervallen überlagerten. Also entstanden zunächst einige Werke für den Mülleimer. Mut zu einer eigenen und zugleich neuen Stilistik?
Ja, und 1972 hatte ich einen so naiven wie wahnsinnigen Mut: ein Vortrag bei den Darmstädter Sommerkursen im Komponistenforum über die Vision einer neuen Tonalität und „Romantik“; natürlich belächelt, aber „Neuromantik“ wurde dann ein Schlagwort der 70er. Changierende und ineinanderfließende Mollakkorde jenseits von Tonalität und Atonalität pulsierten in einer Art Chaconne. In Darmstadt 72 hatte ich auch György Ligeti kennengelernt, dessen Schüler ich bald an der Musikhochschule Hamburg werden sollte. Ligeti war rasch sehr positiv von meinen rotierenden Harmonien angetan und komponierte mit ihnen sogar ein Werk („Rock-Chaconne“ für Cembalo).
Hauptwerke dieser Stilistik waren Plastik-Melancholie (1975/76, gr.Orch.) und „Sentimental Journey“ (1978), das wiederum in Darmstadt 10 Min. Buh-Rufe erzeugte, mir aber auch wichtige Kunstpreise einbrachte (u.a. den Rompreis). Mit dem Klavierstück Nr.1 (1979) war diese Stilistik jedoch zu Ende – die Komponistin Babette Koblenz hatte zu Recht kritisiert, dass der extrem schnelle Wechsel komplexer Harmonien einen Grau-Wert erzeugte und den rhythmischen Fluss bremste. Ihre fliegende, off-beat orientierte Stilistik lies mich umdenken und inspirierte zu einer monochromen Harmonik (z.B. pur gis-modal…) mit der Chance, eine komplexe Polyrhythmik zu erarbeiten – Musik sollte „fliegen“, nicht nur, wie zuvor, in Akkorden „schwimmen“. Das Nonett „Kamel“ (1988) wurde Höhepunkt der „neuen“ Entwicklung, in der sich additive (z.B. 3+4+3+2+3), polare (beat/off-beat), proportionale (z.B. 4 : 5) und eigen-drehende (z.B. 11/32-Takt) Elemente zu einer komplexen Polyrhythmik verbinden. Die „Studie 1“ für Solovioline ist das extremste und wohl gelungenste Werk dieser Phase, zu der auch das Klavierstück 2 (Studie über die Zahl 13) gehört.
Immer noch, trotz der Buh’s der 70er Jahre, waren die Darmstädter Sommerkurse mir ein wichtiges Terrain für Kontakte, aber auch um selbst Impulse zu geben (1986 – 1994 nun als „Dozent“), ja, auch ausgelacht zu werden (z.B. für meine Analyse, dass „Let it be“ komplexer sei als Boulez Polyphonie X). Das Leben als freier Komponist, zudem in einer ästhetischen Außenseiterrolle, war riskant; aber einige Stipendien und Kunstpreise halfen mit: Schreyahn 1988/89 – dann in weiteres volles Jahr in Rom (mit B.Koblenz, die ebenfalls den Rompreis erhalten hatte) und ein Jahr (1998/99) in der Bamberger Villa Concordia, dort Text zu B.Koblenz Oper „Recherche“, München und Nürnberg 1999, gesendet in ARTE. Weitere gemeinsame Musiktheater-Arbeit, „Cinema“ für Karlsruhe 2002. Essays und kulturphilosophische Texte in Kulturmagazinen, u.a. zum Werk von Bob Dylan. Leitung eines Dylan-Festivals 1999 in Karlsruhe in Zusammenarbeit mit Manfred Reichert und dem Ensemble 13 – Ligeti, mit dem ich in Sachen Dylan über Jahrzehnte in Streit lag, war sogar bereit, mitzuwirken.
Und, natürlich Kompositionen, vor allem polyrhythmisch versiert, mit einem Off-Beat als wirklichem Partner des Beats – was er in „klassischer Musik“ in seiner Verkleidung als Synkope“ ja noch nicht ist und was uns erst Bob Marley und „Police“ gelehrt haben. Und gemeinsam mit Babette Koblenz die Weiterentwicklung einer Stilistik, die sich in der Ernsthaftigkeit und Tradition von Josquin und Beethoven sieht, aber in ihrer direkten Sprache mit Codes und Elementen des Pop, des Rock etc. arbeitet, ohne deren spezifischen Kontext zu nutzen, aber auch ohne jede Form von Blockade!
Hans-Christian von Dadelsen